Beate Wedekind
Text zur Ausstellung/ Katalog, Ibiza - abseits ist überall
2013
An Ibiza scheiden sich die Geister. Aufrecht und stolz allem und jedem die Stirn bietend, gleichzeitig verführerisch lockend, ist die Insel ein Ort von magischer Anziehungskraft, eine Kurtisane, der Schönheit und der Sünde frönend: Dance or die, tanz oder stirb, Verheißung und Fluch.
Ibiza ist eine einzige Herausforderung. Lass Dich darauf ein und Du wirst wachsen. Verweigerst Du Dich, wirst Du versagen. Alles ist möglich, Exzess das Ziel, verpönt nur Mittelmaß und Gleichgültigkeit. Ibiza überhöht und multipliziert Kräfte und Schwächen, legt Wohl und Übel gleichermaßen auf die Goldwaage, schenkt Kraft und Ruhe und irritiert. Schwächen offenbaren sich, das Böse zeigt seine Fratze, die Strafe folgt auf dem Fuß. Nirgendwo kann man jämmerlicher scheitern.
Ibiza ist ein einziger Kampf. Mit Dir selbst und mit den Umständen. Finde Dein Ich und Du findest das Glück. Auf Ibiza fallen sie plötzlich leicht, die Entscheidungen des Lebens, wird aus Lethargie die Tat, aus Begabung das Werk, aus Sehnsucht Liebe.
Aber: Nichts ist ein Spiel.
Natürlich erschließt sich nicht jedem diese Energie, die von Ibiza ausgeht. Doch wer sie spürt, gar zu leben lernt, der wird von Ibiza nicht mehr loskommen. Die magische Anziehungskraft ist der rote Faden, der die Geschichte und die Gegenwart von Ibiza verbindet. Schon die phönizischen Kolonialherren brachten die Asche ihrer verstorbenen Würdenträger nach Ibiza, wo sie den stärksten Sog ins heilende Jenseits vermuteten. Und wenige Jahrhunderte später brachten die Punier ihre Frauen aus Karthago auf die Insel, damit Tanit, die Göttin des Verlangens und der Fruchtbarkeit, ihnen neues Leben schenken möge.
Heute kommen die Touristen aus aller Welt, angelockt von den Marketingstrategen, der Mund-zu-Mund-Propaganda und den Medien, um am süßen Honig der Glücksverheißungen zu schlecken, die heute die einmalige Attraktivität Ibizas ausmachen. Vorher kamen die Römer, die Vandalen, die Mauren, die Katalanen. Alle suchten und fanden den Wert der Insel, die strategische Situation im Mittelmeer, die Schätze Ibizas, Salz und Purpur, Blei, Ton und Kalk, ja sogar Bernstein. Die Einheimischen waren gewappnet, blieben immer die Herren, aber haben von Fremden alles übernommen, was ihnen nur irgendwie nützlich erschien. Sie haben Eroberungen und Fremdherrschaft überlebt, Knechtschaft und Glaubenskriege. Sie wurden unabhängig, agierten als Korsaren und Piraten, raubten und rächten sich. Denen, die als Händler und Handwerker gekommen waren, um zu bleiben, weil sie auf Ibiza nicht geächtet und verfolgt, sondern geschätzt und gebraucht wurden, gaben sie eine Heimat, den Juden aus dem Vorderen Orient, den Zigeunern aus Galizien.
Die Gesellschaft Ibizas ist seit jeher geprägt von Toleranz, Eigensinnigkeit, Selbstbewusstsein, Verhandlungsgeschick, Geschäftstüchtigkeit und Verschwiegenheit. Willkommen ist, wer kommt - und geht. Die modernen Eroberer, die Touristen, die nun schon im fünfzigsten Jahr für Wohlstand und Beschäftigung auf Ibiza sorgen, sind demnach der historische Idealfall.
Heute ist es das bunte Party-Völkchen, das sich in den Tempeln der Nacht auslebt, sich auf den Trip bringt, heraus aus dem Trott für ein paar Tage nur. Ibiza, ein Fest. Es sind die Schwulen aus aller Welt, die sich Ibiza zu ihrer Bühne erkoren haben. Ibiza, das große Theater. Es kommen die Glücksritter und Hasardeure, die es noch einmal wissen wollen. Ibiza, das ewige Spiel. Es kommen die Randfiguren der Gesellschaft, um die Krumen des Überflusses aufzusammeln. Ibiza, die letzte Rettung. Es kommen die Schönen und Reichen, die vom Mammon Gesegneten, um die Schranken fallen zu lassen. Ibiza kennt keine Grenzen. Es kommen die Familien, um im Meer zu plantschen. Ibiza, das Mekka der Massen.
Ibiza, der Garten Eden: Die nach Inspiration und nach Alternativen Suchenden schulen sich für das Leben an sich.
Für einige Jahrhunderte war Ibiza in Vergessenheit geraten, kämpfte mit dem Meer, den Steinen im Feld, dem Hunger und der Armut. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Insel neu entdeckt, von den Künstlern aus aller Welt auf der Suche nach dem besonderen, dem klaren, dem weißen Licht. Dann kamen die jüdischen und die homosexuellen Intellektuellen, die Kommunisten und die Esoteriker und fanden Schutz vor Hitlers Schergen. Bis der spanische Führer General Franco sich Ibiza untertan machte und seinen ehemaligen Verbündeten, den Nazis und der SS, Unterschlupf bot. Am Ende seines Regimes brachten die amerikanischen Hippies, sich dem Vietnamkrieg verweigernd, der Insel Nonchalance und Freiheit, eine neue Leichtigkeit des Seins.
Sie alle waren nur die Vorhut. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung im Nachkriegs-Europa der 60er Jahre setzte die moderne Völkerwanderung ein: Die Touristen entdeckten Ibiza und machten die größte Veränderung notwendig, die Ibiza jemals erlebte. Der Flughafen wurde erweitert, Betten wurden gebraucht, Hotels gebaut, die Gewinnler des Booms legten an den schönsten Plätze der Insel Urbanisationen an. Die Ibizenker liebten den schnellen Profit und wurden selbst die fleißigsten Bauherren. Gefahr war im Verzug, denn die Geschichte Ibizas drohte im Modernisierungswahn zu versanden.
Wieder hatte Ibiza Glück: Engagierte Bürger und vernünftige Lokalpolitiker identifizierten viele Spuren der Vergangenheit als historisch und kulturell relevant. Es wurde gegraben und gefunden, rekonstruiert und restauriert, identifiziert und konserviert. In Museen und an Originalstätten wurden die steinernen Zeugen der Geschichte der Öffentlichkeit zugängig gemacht.
Andere Spuren blieben in ihrer Archaik unumstößlich die wahren Schätze der Insel: die Formen und Farben, die Rituale und Gewohnheiten, der Reichtum der Worte und Gesten und Klänge, der überlieferten Erzählungen und handwerklichen Fähigkeiten. Wieder andere haben sich in den Werken der Künstler manifestiert, in den Moden und den Musikströmungen. Schließlich: Die Zeit hat neue Spuren geschaffen.
Dann sind da Widersprüche, diese morbiden Zeugen der Vergangenheit, die am Wegesrand, in den Wäldern, an den Stränden, in der Stadt, auf dem Land und allenorts auf Ibiza herumlungern. Diese Überreste des Versagens, die jedem Abbruch trotzen – das unverkennbare Grau der Vernachlässigung.
Der Verfall auf Ibiza aber ist mehr als uneinnehmbare Betonruinen und die hässlichen Reste der Wegwerfgesellschaft. Verfall auf Ibiza hat auch eine feine Ästhetik, was ihn nur noch trauriger macht. Die eingefallenen Mauern, deren stolze Kraft gebrochen ist, das schön gemaserte Holz, in die traditionellen blassen Farben getunkt, das sich spaltet und bricht, der gefräßige Rost, der die Formen zerstört, damit neue entstehen.
Das Abseits ist überall.
Die Hamburger Innenarchitektin und Fotografin Christine Schindler kennt Ibiza nur von wenigen Aufenthalten und hat wohl gerade deshalb einen unverbrauchten, präzisen Blick auf das Abseits von Ibiza. Gemeinsam mit dem Galeristen Alexander Baumgarte, den die Insel schon lange fasziniert, hat sie Heinz Mack getroffen, den weisen Künstler, Maler und Bildhauer, der, angezogen vom Licht Ibizas, seit Jahrzehnten auf der Insel arbeitet. Dieses Treffen hat Christine Schindler herausgefordert, sich auf ihre Art und Weise mit der Magie des Ortes zu beschäftigen.
Christine Schindler über das Ausstellungsprojekt IBIZA - Abseits ist Überall: „Im Dialog mit Alexander Baumgarte über die Historie der Insel und die starke Urbanisierung in den letzten Jahrzehnten, entwickelten wir 2013 das Thema zur Fotoarbeit IBIZA - Abseits ist Überall, in der ich durch die Verbildlichung der Realität, die Gegenwart mit unmittelbarem Bezug zur Vergangenheit festhalte und Kontraste aufzeige. Abseits vom Tourismus dokumentiert die Arbeit mystische, historische, verlassene oder vergessene Orte der Insel mit ganz einzigartigen, morbiden Atmosphären. In vielen Arbeiten gelang es mir, zwei Szenen in einen neuen spannungsvollen Kontext zu stellen. Dadurch überhöhen und intensivieren sich die ohnehin schon skurrilen Situationen und irritieren den aufmerksamen Betrachter.“
Entstanden sind Fotoarbeiten von besonderer Eindringlichkeit, Bilder, die den Bogen zwischen Epochen und Orten, zwischen der Vergänglichkeit des menschlichen Schaffens und der Allmacht der Natur spannen. Christine Schindler stellt mit ihren Bildern eine Forderung in den Raum: Schaut hin, die Wahrheit liegt im Abseits.
Die folgenden Beschreibungen sind Informationen zu den Orten im Abseits Ibizas, die Christine Schindler mit ihren Fotoarbeiten zu Zeitdokumenten macht. Beate Wedekind, die 1968 zum ersten Mal auf die Insel kam und sich schon immer mehr mit den geheimen Botschaften als mit dem oberflächlichen Glanz der Insel beschäftigte, hat ihre persönlichen Interpretationen der Bilder angefügt.
Bungalow Park heißt die Siedlung in Es Figueral, erbaut von Nazis und SS-Schergen und ihren Sympathisanten.
In den 50er und 60er Jahren fanden hochrangige Nazis und SS-Schergen im Spanien Francos Zuflucht. Auch auf Ibiza bauten sie sich ihre Villen, verschanzten sich hinter hohen Mauern, gaben sich Decknamen und entzogen sich, geschützt von Francos Guardia Civil und den Scheuklappen der Einheimischen, der Gerechtigkeit. Durch den Zustrom der deutschen Touristen in den 60er Jahren fühlten sie sich in ihrem „Bungalow Park“ vor Aufdeckung nicht mehr sicher. Viele verkauften ihre Anwesen, gingen aufs spanische Festland, nach Südamerika oder ins nahe Ägypten. Noch in den 80er Jahren sollen sich einige von ihnen auf Ibiza aufgehalten haben, u. a. der Schlächter von Mauthausen, der Arzt Aribert Heim.
Die Bilder von Christine Schindler sind von beklemmender Normalität. Sie führen vor, wie alltäglich das Leben nach dem Morden weiterging.
Ses Feixes – ein Dasein im Sumpf verbirgt sich im Schatten der Vergnügungszentren, der Clubs und Diskotheken.
Das Sumpfgebiet gleich hinter dem neuen Hafen ist eines der größten Naturschutzgebiete Ibiza, Ses Feixes genannt. Alte Bewässerungskanäle, maurische Steintore und verschlungene Pfade, die sich durch das hohe Schilf schlängeln. Hier haben sich mittellose Spanier und illegale Ausländer, die sich mit Hilfsarbeiten und dem Handel von Tand durchs Leben lavieren, eingerichtet. Sie hausen in Holzverschlägen zwischen verfallenen Mauern, unter Wellblechdächern, haben kein fließendes Wasser, keinen Strom. Hundebabys tollen im Abfall, hier und da schreit ein Kind.
Die Bilder von Christine Schindler zeugen von der bitteren Ausweglosigkeit, mit der diese Außenseiter der Gesellschaft konfrontiert sind.
Sa Penya, das alte Zigeunerviertel am Rande der Altstadt, verblasst als Hochburg der Transvestiten und Schwulen.
Sa Penya ist auf den nackten Felsen gebaut und zieht sich auf einer Landzunge unterhalb der historischen Altstadt bis hinunter an den Hafen und das Meer. In den engen Gassen lebten über Jahrhunderte die Zigeuner der Insel, dann verwandelte sich Sa Penya zu d e m Vergnügungsviertel Ibizas. Eine Schwulenbar, ein Nachtclub, eine Boutique reiht sich an die andere, wenngleich es bedeutend ruhiger geworden ist. Heute dienen die Sträßchen eher als Stolpersteinpiste für neugierige Pauschaltouristen auf der Suche nach Exotik. In der Hauptgasse, der Calle de Virgen, hatte der deutsche Modemacher Achim Heinemann, seine legendäre Boutique Paula’s. Die Türen sind mit dicken Eisenketten verrammelt, das Haus steht zum Verkauf. Heinemann, ein wahrer Meister der Inszenierung, hat sich aufs Opernfach verlegt. Oberhalb des Touristenstroms, direkt an der gewaltigen Stadtmauer, scheint die Zeit stehen geblieben. Die uralten schmalen Häuser warten auf die Rettung vor dem endgültigen Verfall, Menschen auf Arbeit, Kinder auf eine bessere Zukunft.
Die Bilder von Christine Schindler erheben die Morbidität der Armut zu romantischen Augenblicken, den Verfall der Gemäuer und Materialien zu Gemälden.
Dalt Vila, die obere Altstadt hinter der historischen Stadtmauer, ist von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt und entkommt dennoch nicht dem Zahn der Zeit.
Seit Jahren schon wird die vor mehr als Tausend Jahren entstandene obere Altstadt restauriert. Ehemalige Bürgerpaläste sind von Privatleuten zu ihren geheimen Refugien umgebaut worden. In lauschigen Gärten plätschern Brunnen und Pools, auf den Dachterrassen klirren die Champagnergläser. Einige sind Edelherbergen geworden, wie das Torre del Canonigo, das zu den ersten Adressen Ibizas gehört. Und das El Corsario, wo schon Orson Welles und Errol Flynn verweilten, das nach wie vor der begehrte, nonchalante Platz der Bohème ist. Einige, wie das El Palacio, mussten ihre Toren bereits wieder schließen. Da wo der lange Atem und das Geld fehlen, folgt das Scheitern auf dem Fuß.
Die Bilder von Christine Schindler zeigen die Bürgerpaläste vor dem Transit in die neue Ära des Luxus und wie so mancher Traum im Winde verweht.
In der Mitte des Irgendwo, das Feuer. Die immer wieder kehrenden, großen Waldbrände auf Ibiza sind eine Heimsuchung, machen Angst und hinterlassen Ohnmacht.
Erst 2011 wieder zerstörte ein gewaltiges Feuer ganze Bergketten im Norden von Ibiza. Tagelang lag der Rauch über der Insel, und die Motoren der – wenigen – Löschflugzeuge dröhnten in der Luft. Quadratkilometer von Pinienwäldern wurden vernichtet, wie im Rausch wüteten die Flammen. Wie durch ein Wunder kamen keine Menschen, keine Tiere zu Schaden. Aber viele Häuser wurden in Mitleidenschaft gezogen, haben ihren Wert verloren. Der unverbaute Blick zum Meer geht nun über eine graue Schneise statt über ein unangetastetes grünes Naturparadies. Die Verursacher solcher Waldbrände werden meist nicht dingfest gemacht. Ist es Nachlässigkeit im Umgang mit Zigaretten, mit Grillfeuern? Brandstiftung von Psychopathen und Rächern? Die Natur, jedoch, erliegt der Ohnmacht der Menschen nicht, sie holt sich die Landstriche zurück. Schon nach zwei Regenperioden sprießen kleine zarte Pinien aus der Asche.
Die Bilder von Christine Schindler zeigen die Wut des Feuers, die schwarzen Brandmale, den Schmerz der Natur. Man atmet die Asche, man riecht den Ruß, man spürt sie förmlich, die Angst.
Ses Salines, eine imposante Industrielandschaft, wurde vor 2500 Jahren von den Phöniziern angelegt und liegt nur wenige Minuten entfernt von den mondänsten Stränden Ibizas.
Die Rituale am Strand von Las Salinas im Jahr 2013 nach Christi Geburt: Champagner trinken in Es Cavallet, an der Strandbar von Sa Trinxa, im Malibu oder im Jockey Club; DJs legen schon morgens ihre Beats auf; die Luxusyachten beobachten, die in der langgestreckten Bucht vor Anker liegen. Zum Strand geht es vorbei an den Salinas, den Salzfeldern, die man schon im Anflug auf die Insel sieht. Von den Phöniziern im vorantiken 6. Jhd. v. Chr. angelegt, sind sie noch heute in Betrieb. Unweit der Landzunge, nicht einsehbar von den Stränden, verbirgt sich eine andere antike Industrielandschaft, Ses Salines, von den Hippies in den 60er Jahren Atlantis getauft. Sie schnitzten phantastische Figuren in den Stein, ein skurriler Kontrast zu den flachen abgezirkelten Plateaus, den Spuren von sklavischer Schwerstarbeit im frühen 16. Jahrhundert. Hier (und an anderen Stellen der Insel, z.B. in Punta Galera bei Sant Antoni) wurde per Hand der Kalkstein abgebaut, mit dem die gewaltige Stadtmauer von Ibiza errichtet wurde. Es geht die Sage, dass auch die Steine für den Bau der Kathedrale im 13. Jahrhundert, die auf den Ruinen der Moschee und den urzeitlichen Tempeln steht, von hier stammen.
Die Bilder von Christine Schindler zeigen die Präzision, mit denen der Kalkstein den Felsen abgerungen wurde. Man hört förmlich die Steinmetze hämmern und die Hippies singen.
Sa Canal ist der kleine Hafen der Salinen, in dem das weiße Gold auf langen Weg in den Norden verschifft wurde. Heute landet es via Flugzeug als Sal de Ibiza in den Delikatessenläden der Welt.
Ein gänzlich verschlafener Ort ist die kleine Ansiedlung Sa Canal gleich hinter dem großen Salzberg, der sich Jahr für Jahr während der Ernte aus den flachen Meerwasser Bassins auf- und abbaut. Die Zeugen der frühen Industrialisierung des Salzabbaus verrosten und verrotten, auch sie nur wenige Minuten vom mondänen Strandleben entfernt. Der generellen Architektur des ländlichen Ibizas folgend, deren Häuser sich über die Generationen und neu notwendigen Funktionen entsprechend Kubus für Kubus vergrößerten, entstanden auch die Bauten der Salzfabrik poc a poc, nach und nach. Die Eisenschienen der geschmeidigen kleinen Züge (früher von Männern und Mulis, dann von Draisinen und schließlich von kleinen Lokomotiven gezogen), die das Salz auf den Loren von den Feldern zum Salzberg brachten, sind verrostet und zeichnen bizarre Linien auf die verblichen weißen Zementwände.
Die Bilder von Christine Schindler zeigen die Schichten und Materialien der Salzfabrik von Sa Canal, die klaren Linien, die in ihrer Funktionalität die glitzernden Kristalle ordnen und beherrschen.
Cala d’en Serra – das Geisterhaus. Über einer der schönsten Buchten des Mittelmeers ragt eine Ruine aus Beton und Eisen in die Landschaft. Ein nie fertig gestelltes Hotel, eines von mehreren auf Ibiza, aber eines mit einer besonderen Geschichte.
Entworfen von dem katalanischen Meisterarchitekten Josep Lluis Sert Ende der 60er Jahre, war dieser Bau Spielball politischer Entwicklungen. Sert war unter dem faschistischen Regime Francos kurz nach Baubeginn ins amerikanische Exil gegangen. Er wurde gezwungen, seinen Namen von dem Projekt zurückzuziehen. Nach dem Ende der Franco Ära baute er andere schöne Häuser auf Ibiza. Seine Formensprache, die Einfachheit der Materialien, besticht in ihrer Klarheit. Man ahnt es, dass dieses Hotel sein Meisterstück hätte werden können. Umstritten bis heute, dämmert die Struktur vor sich hin, wie ein Skelett, ein Gespenst. Heute ein Spielplatz für Graffiti-Künstler, für Offroad-Motorrad-Rennen, für Umweltsünder, die den Sert-Bau zu Müllhalde und Schrottplatz entwürdigen. Es gab viele Phantasien, auch konkrete Hotelprojekte, über was alles aus der Ruine mit der himmlischen Lage werden könnte. Aber auch heute, Jahrzehnte nach Baubeginn, ist keine Lösung in Sicht, auch nicht der Abbruch – der wäre genau so eine Schande wie der Verfall es ist.
Die Bilder von Christine Schindler sind beklemmend und faszinierend zugleich. Der Kampf der Natur mit der Materie, der Raub der Ästhetik durch Vandalismus. Der Tod eines Traums.
*Die Journalistin, u. a. ehemalige Chefredakteurin von Elle, Ambiente und Bunte, beschäftigt sich seit den 80er Jahren mit Gesellschaftsfotografie. Nach Ibiza kam Beate Wedekind zum ersten Mal 1968. Sie lebt in Berlin, in einem verwunschenen Tal in der Nähe von Sant Mateu auf Ibiza und in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, wo sie die Publikation THE NEW//AFRICA herausgibt.